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Forschung in der "Freien Wildbahn" bringt so einige Besonderheiten mit sich - insbesondere in einem Land wie Madagaskar. Die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen bekommt man hier oft empfindlich zu spüren.

Die in Madagaskar allgegenwärtige Bürokratiebegeisterung macht auch vor den Forschungsstationen nicht halt. So eine exotische Kreatur wie eine europäische Freilandbiologin, die sich in keines der starren Verwaltungsschemata fügen will, ist eine Herausforderung für den ambitionierten madegassischen Paragraphenreiter und spornt diesen zu absoluten Höchstleistungen im Auftürmen der phantasievollsten verwaltungstechnischen Hindernisse an. Es ist geradezu ein Schlag ins Gesicht des madegassichen Beamten, weiß die Biologin den ihr zuliebe getriebenen Aufwand überhaupt nicht zu schätzen und reagiert mit Unverständnis oder gar Mißmut auf die zu ihrer Ablenkung und Erbauung täglich neu gestalteten Forschungsvorschriften, die kniffeligen Zollgeduldtsspielchen oder die Behördenralley bei der als Preise die buntesten Stempel auf den bizarrsten Forschungsgenehmigungen winken.

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Findet man trotz dieses willkommenen Unterhaltungsangebotes in Ampijoroa einmal Zeit zu arbeiten, spielt sich ein großer Teil davon hier ab. Auf diesen wenigen Quadratmetern sind Büro, Freilandlabor, Feldküche, Tierarztpraxis, Elektrowerkstatt, Vorratskammer und Freizeitareal für sechs oder auch mehr Forscher untergebracht. Eine Meisterleistung der Organisation und Logistik, bei der nur einer die Übersicht behält:

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Dieses kleine Kerlchen, ein Eulemur fulvus fulvus, ist den Campbewohnern besser unter dem viel treffenderen Namen Nervensäge bekannt. Er weiß mit Sicherheit, wo die verschwundene Tesafilmrolle, die verschollenen Filzstifte und die Genproben von eben gerade zu finden sind. Faszinierend ist sein sicheres Gespür für den falschen Moment, einem durch den Ausschnitt unter das T-Shirt zu schlüpfen - beispielsweise, wenn man gerade mit beiden Händen einen Mausmaki zum Vermessen festhält.

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Um den neu entdeckten Microcebus ravelobensis zu charakterisieren, werden eine Vielzahl morphometrischer Daten wie Schwanzlänge, Augenabstand und Kopflänge aufgenommen. Dabei verläßliche und reproduzierbare Daten zu bekommen erfordert einiges an Geduldt - von Mensch und Tier. Auf dem Photo lernt Pia Braune, die als Doktorandin in Ampijoroa arbeitet, mich gerade als Feldassistent an.

Da nicht in einem geschlossenen Raum gearbeitet wird, muß besonders sorgfältig darauf geachtet werden, daß sich kein Mausmaki auf und davon macht. Am besten gelingt das, indem man sie an ihrem langen Schwanz festhält.


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Um die Tiere identifizieren zu können, werden sie mit einer Nummer versehen - Nein, man drückt ihnen nicht diese Papierschilder in die Hand, die sie dann mit sich zu führen haben. Stattdessen bekommen sie mit Hilfe
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eines Applikators - einer Spritze mit großer Kanüle - einen Microchip unter die Haut gesetzt. Dieser kann dann mit einem Lesegerät identifiziert werden. Das Gerät zeigt die Chipnummer an, wenn man damit über den Rücken des Tieres streicht. Diese Markierungsmethode wird mittlerweile auch für Haustiere oft verwendet. Unter der Nummer sind dann alle möglichen Daten des Tieres abgelegt. In dem von Andrea untersuchten Gebiet waren nach der Untersuchungsperiode fast alle Tiere erfaßt und man hatte einen guten Überblick über die dortige Mausmakipopulation.

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Für weitere Untersuchungen nimmt Andrea Genproben, die in einer speziellen Pufferlösung bis nach der Heimreise aufbewahrt werden um sie in einem etwas besser ausgerüsteten Labor analysieren zu können. Durch genetische Untersuchungen soll Licht in die noch weitgehend unbekannte Sozialstruktur der Goldbraunen Mausmakis gebracht werden. Handelt es sich bei ihren Schlafgruppen um Familiengruppen oder sind ihre Mitglieder etwa gar nicht miteinander verwandt?

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Pia mit dem guten alten Spiegelmikroskop. Alles Nichtelektrische hat hier gewisse Vorteile. Das kleine Solarpanel ist mit dem Laden der Akkus schon genug beschäftigt - da kommen Geräte, die selbst die Sonne nutzen können, sehr gelegen.

Doch um die Mausmakis untersuchen zu können, muß man sie erstmal haben! Als echte Primaten ködert man sie natürlich am besten mit Bananen. Die sogenannten Sherman-Fallen werden mit kleinen Scheiben beködert und an gut zugänglichen und trotzdem geschützten Stellen im Geäst aufgestellt. Da können die Mausis nicht wiederstehen. Ein Tier hat sich doch tatsächlich bei jeder der 18 Fangaktionen erwischen lassen.

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Pro Fangaktion wurden an die 100 Fallen aufgestellt. Bei der erfolgreichsten Aktion saß fast in jeder zweiten Falle ein Mausmaki. Ganz schön viel Arbeit für Andrea und Nicole. Tiere vermessen, wiegen, mit Transponderchips versehen, Datenbögen anlegen, Genproben nehmen und die Tiere auf Ektoparasiten überprüfen - da ist man auch zu zweit den ganzen Tag beschäftigt. Zur Dämmerung muß alles fertig sein, denn dann wollen die Mausmakis wieder heraus. Jeder wird genau an dem Ort, an dem er gefangen wurde, wieder in die Freiheit entlassen. Nach kurzer Orientierung finden sie sich daher schnell wieder zurecht. Die Mausmakis sind sehr ortstreu und haben über Jahre ein bestimmtes Gebiet, in dem sie aktiv sind.

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Einige von ihnen, die im Zentrum des Untersuchungsgebietes leben, werden mit kleinen Halsbandsendern ausgestattet, bevor sie wieder zurück in den Wald dürfen. Auf dem Photo sind zwei gebrauchte Sender zu sehen. Sie wiegen 2.5 Gramm. Das erscheint relativ leicht. Dabei sollte man sich allerdings bewußt machen, daß die Mausmakis selbst auch nur etwa 60 Gramm auf die Waage bringen. Die Sender können mit einem Peilgerät bis zu einer Entfernung von 150 m geortet werden. Da die Mausmakis sich nicht allzuweit herumtreiben, reicht das aus. Die Sender sind oft Quelle des Unmuts, weil sie gerne ohne Vorwarnung den Geist aufgeben. Das kann sehr unangenehm sein, da sich die Untersuchungen ohnehin am unteren Rand der statistischen Aussagefähigkeit bewegen. Fallen dann Sender aus, kann der Erfolg der Arbeit ernstlich gefärdet werden. Da die Untersuchungen sehr zeitintensiv sind, ist es meist nicht möglich, einfach mehr Tiere zu besendern und auf Vorrat mitzubeobachten.

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Das Peilsignal ist die einzige Möglichkeit, die Tiere während der Untersuchung im Freiland einwandfrei zu identifizieren, da die Individuen bei der nächtlichen Beobachtung für den Forscher nicht zu unterscheiden sind. Oft kann man bei den Beobachtungen nicht einmal festellen, ob das andere Tier, das gerade dem Sendertier begegnet, ein Männchen oder Weibchen ist. Neben dem Auffinden der Tiere dient der Sender der Messung der nächtlichen Aktivität der Tiere. Durch Kreuzpeilung mit einer Richtantenne wird in kurzen Zeitabständen der Aufenthaltsort der Mausmakis festgestellt. So kann man festhalten, welche Wege die einzelnen Tiere in der Nacht zurücklegen. Morgens, wenn sich die Mausmakis in ihren Schlafplätzen versteckt haben, leistet der Peilsender gute Dienste beim Aufspüren der Schlafplätze. Andrea hatte ein ausgesprochen gutes Händchen bei der Auswahl der Sendertiere: Alle waren in Schlafgruppen mit irgendwelchen anderen Sendertieren zusammen. So konnte sie beobachten, wie sich die Zusammensetzung der Schlafgruppen entwickelte. Die Mausmakis sind unerwartet treu. Viele blieben über den gesamten Untersuchungszeitraum von mehreren Monaten zusammen. Eine Gruppe, deren Schlafplatz gestört werden mußte, da sich ein Männchen den Arm unter dem Sender eingeklemmt hatte, schlief nach dem Eingriff ins Nest über mehrere Tage nicht mehr zusammen und an ständig wechselnden Plätzen, sammelte sich dann aber wieder am alten Ort in alter Zusammensetzung - ein Zeichen für sehr starke Bindung zwischen den Individuen.